Die Kräuterfabrik im Gewerbepark

28.03.2021

Eine Landwirtschaft ohne Pestizide verspricht das ETH-Spin-off Yasai.Im Sommerstartet die ersteVersuchsanlage in der Schweiz.

Die Zukunft der Landwirtschaftliegt vielleicht in der Stadt.Auf jeden Fall ist sie hoch technisiert. Unter der Bezeichnung«Urban Agriculture» bringenUnternehmer die Nahrungsmittelproduktion vom Acker auf Industriebrachen in der Nähe der Konsumenten:in Gebäude, in denen Nahrungsmittel wie ineinem Regallager gedeihen. Solche vertikalen Bauernhöfe sollen helfen, das Welternährungsproblem zu lösen und dabei erst nochpestizidfrei sein.

Beginnen soll diese Zukunft im Gewerbegebiet von Adliswil. Hier will das ETH-Spinoff-Unternehmen Yasai die Pilotanlageeiner «Vertical Farm» bauen – zusammen mitder Agrargenossenschaft Fenaco, zu derbekannte Marken wie Volg, Landi oderAgrola gehören und die in der SchweizerLandwirtschaft mit einem jährlichen Umsatzvon sieben Milliarden Franken ein wichtigerPlayer ist. Fenacos Einstieg bei Yasai beweist,dass Vertical Farming auch in der SchweizFuss fassen könnte.

Laut Daniel Schwab, der als Leiter Category Gemüse bei Fenaco das Projekt engbegleitet, möchte das Unternehmen mit derInvestition prüfen, ob die vertikale Landwirtschaft auch für Schweizer Bauernbetriebe eine lohnende Option sein könnte.Der Hintergrund: Die weltweiten Wachstumsraten von solchen Anlagen liegengemäss einer im vergangenen Herbst veröffentlichten Studie bei jährlich 20 bis 30Prozent. Gemäss der Studie steigen dieUmsätze der so erzeugten Produkte vonheute etwas über 200 Millionen Dollar auf1,38 Milliarden Dollar im Jahr 2027.

Yasai ist Japanisch und bedeutet Gemüse.Hinter dem Unternehmen steckt Mark EssamZahran, der vor zwei Jahren sein Architekturstudium an der ETH abgeschlossen hat.In seiner Masterarbeit vertiefte er sich in dasThema vertikale Landwirtschaft. Es liessihn nicht mehr los. 2019 stiessen sein BruderStefano Augstburger als Wirtschaftsfachmann sowie der Umweltingenieur PhilippBosshard hinzu.

Kein Zutritt für Menschen

Zusammen gründeten sie Anfang 2020 dasUnternehmen, geschmückt mit dem begehrten Label «ETH Spin-off». Insgesamt 1,5 Millionen Franken investieren Yasai und Fenaconun in die Pilotanlage, ab Sommer 2021soll die Produktion beginnen, vorerst mitKüchenkräutern. Auf einer Grundfläche von100 Quadratmetern werden auf sechs EtagenPflanzmodule aufgeschichtet, so dass amSchluss eine Anbaufläche von über 500 Quadratmetern resultiert. «Das sieht praktischaus wie ein Hochregallager», erklärt Umweltingenieur Philipp Bosshard. «Nur ist siehermetisch abgeschlossen, und kein Menschbetritt während der Produktion die Anlage.»Ein stetiger leichter Überdruck hält Keimeund Schädlinge fern, so dass praktisch vollständig auf Pestizide verzichtet werdenkann.

Die Pflanzmodule werden von einem aufGewächshäuser spezialisierten Unternehmen aus den Niederlanden geliefert, dieSoftware für die Steuerung kommt aus Finnland. Umweltbedingungen wie Temperatur,Licht oder Luftfeuchtigkeit können in deneinzelnen Modulen den Bedürfnissender Pflanzen exakt angepasst werden. Diesewachsen auf Biopolymer-Substraten imWasser und werden Sensor-gesteuert mit derrichtigen Menge Nährstoff und Dünger versorgt. Die Anlage ist zudem auf eine optimaleWiederverwertung von Wasser, organischenAbfällen und Nährstoffen eingestellt.

«Unsere Produkte können zwar nicht dasBio-Label erhalten, weil sie nicht auf Erdewachsen», sagt Mark Zahran. «Aber sie sindsogar besser als Bio, weil wir mit wenigerRessourcen mehr produzieren.» Kräuter undSalate können mehrere Male im Jahr geerntetwerden, Basilikum etwa braucht von derAussaat bis zur Ernte gerade einmal fünfWochen. Insgesamt 18 Tonnen Biomasse solldie Anlage künftig jährlich hervorbringen.Einmal in Betrieb, kann sie von einer Arbeitskraft betreut werden, einzig die Aussaat,die Ernte und das Verpacken sind nochHandarbeit – vorerst noch. Kein Wunder, istZahran begeistert: «Der Gemüsebauer derZukunft wird nicht mehr mit dem Traktoraufs Feld fahren, sondern seine Produktionam Computer steuern.»

Aber steht eine solcherart durchautomatisierte Landwirtschaft nicht quer in der Landschaft, wo doch immer öfter mit romantischen Bildern von naturnah produzierendenBauern geworben wird? Mit dem Pilotprojektmöchte Fenaco herausfinden, ob solcheProdukte überhaupt die Akzeptanz der Konsumenten finden. Fenaco-Experte DanielSchwab weiss, «dass Vertical Farming einanderes Bild von der Landwirtschaft zeigt,als wir es uns gewohnt sind». Doch Schwabglaubt, dass die Methode gute Chancen hat.

«Nachhaltigkeit, wenig Ressourcenverbrauch, weniger oder keine Pflanzenschutzmittel und ein schonender Umgang mit demBoden – das sind exakt diejenigen Themen,die den Menschen heute wichtig sind.» Fürdie Landwirte sei Technologie zudem schonlange kein Fremdwort mehr, denn in derkonventionellen Landwirtschaft gehöre dieArbeit mit dem Laptop mittlerweile zumAlltag. Zudem bietet ein Indoor-Anbau für dieLandwirte handfeste Vorteile: Unabhängigkeit von den Risiken der Klimaerwärmung,eine Ganzjahres-Belieferung des Marktes mitden Produkten, planbare Verdienste.

Pro Quadratmeter undJahr kann in einerVertical Farm 100-malmehr Salat geerntetwerden als aufdem offenen Feld.

Auch die Wissenschaft ist nicht abgeneigt.Vor drei Jahren haben Agrarwissenschafteraus so unterschiedlichen Institutionen wieder ETH, dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau Fibl und Agroscope,dem bundeseigenen Kompetenzzentrum fürlandwirtschaftliche Forschung, in einergemeinsamen Studie festgehalten, dass aucheine industrielle Hightech-Landwirtschaftin Betracht gezogen werden sollte – dies imRahmen eines Schwerpunktprogramms zumschonenden Umgang mit dem Boden (NFP68). Das Argument der fehlenden «Natürlichkeit» bedeute nicht, dass eine solche Anbauweise nicht nachhaltig sein könne.

Doch wie nachhaltig ist Vertical Farmingüberhaupt? Wissenschaftliche Untersuchungen über die ganze Wertschöpfungskettehinweg, sogenannte Life-Cycle-Assessments,sind rar. Der renommierte ÖkobilanzforscherThomas Nemecek von Agroscope verweistauf eine finnische Studie von 2018, in welcher der ökologische Fussabdruck von Salataus einer Vertical Farm, aus einem Gewächshaus sowie vom Acker verglichen wurde. DieStudie kommt zum Schluss, dass der Wasserund Düngerverbrauch sowie die Treibhausgasemissionen pro Kilogramm Salat aus derVertical Farm deutlich geringer sind.

Hoher Energiebedarf

Der Flächenbedarf unterscheidet sich ebenfalls: Pro Quadratmeter und Jahr kanngemäss der Studie in einer Vertical Farm mit6 Schichten 100-mal mehr Salat geerntetwerden als auf dem offenen Feld in Finnlandund immer noch fast zehnmal mehr alsim Gewächshaus. Das grosse Problem ist derEnergiebedarf. Wie hoch schliesslich derökologische Fussabdruck in der Summe ist,hängt stark vom Strommix ab, der verwendet wird.

«Am meisten Energie kostet die Herstellung des künstlichen LED-Lichtes für dieFotosynthese», sagt Christoph Carlen, Leiterdes Forschungsbereichs ProduktionssystemePflanzen bei Agroscope. Auf dem freien Feldist das Sonnenlicht gratis, doch in der Hallemuss es teuer bezahlt werden – und erreichtdennoch nie die Kraft der Sonne. In Zusammenarbeit mit Fenaco und Experten der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften leitet Carlen derzeit ein Forschungsprojekt in die Wege, um das Pilotprojekt vonYasai wissenschaftlich zu begleiten.

Im Vordergrund stehen vorerst allerdingsnicht Fragen der Nachhaltigkeit, sondern diewirtschaftliche Machbarkeit in der Schweizsowie agronomische Fragen. Es geht umdie Messung der Produktqualität, die Suchenach Optimierungen in allen Bereichen desSystems, aber auch Sortentests der ausgewählten Kulturen.

Küchenkräuter

Für Vertical Farming geeignet sind Frischpflanzen, bei denen möglichst alles, waswächst, auch geerntet werden kann, wiezum Beispiel Blattsalate und Frischkräuter.«Eigentlich hängt alles von der Nutzung desLichtes ab, denn jedes Photon Licht kostetGeld», sagt Carlen. «Das bedingt, dass möglichst alle Pflanzenmasse, die damit gebildetwird, auch geerntet und verkauft werdenkann.» Karotten, Kartoffeln, Getreide undandere Ackerfrüchte, ja selbst Erdbeeren,kommen nicht infrage. «Die Welternährungkönnen wir so nicht sichern, aber für Premium-Frischprodukte könnte diese Methodesehr interessant sein.»

Das Jungunternehmen Yasai setzt in seinem Pilotprojekt zuerst einmal auf Küchenkräuter wie Basilikum, die auch im Verkaufeine hohe Marge haben und zudem zu einemgrossen Teil importiert werden. Spätermöchten sie gleichzeitig weitere Sorten undProdukte anbauen, da jedes Modul individuell gesteuert werden kann.

Die kleine Pilotanlage in Adliswil soll erstder Anfang sein. Bereits liegen grössere Projekte in der Schublade, dank der Modulbauweise ist das Konzept beliebig ausbaubar.«The sky is the limit», sagt Yasai-GründerMark Zahran.