Deutsche Bauzeitschrift: Vertical Farming für die Smart Cities von morgen

01.02.23

DBZ Artikel

Deutsche Bauzeitschrift: Vertical Farming für die Smart Cities von morgen

Yasai ist ein Schweizer Start-up für Vertical Farming, das von dem ehemaligen Architekturstudenten der ETH Zürich, Mark Zahran, gegründet wurde. Im Interview erklärt er, was Gemüseanbau mit Architektur und Raumplanung zu tun hat und wie er sich die Landwirtschaft der Zukunft vorstellt.

Herr Zahran, was ist das Konzept von Yasai?

Mark Zahran: Wir bauen und betreiben Vertical Farms basierend auf Kreislaufsystemen. Unser Credo ist grow more with less. Wir möchten mehr Nährstoffgehalt pro Pflanze mit geringerem Ressourceneinsatz erzielen. Das ist nur möglich, weil wir in unseren Vertical Farms ideale Lebensbedingungen für die Pflanzen schaffen können und komplett ohne chemische Pestizide arbeiten dürfen. Denn dadurch, dass wir indoor anbauen, sind die Pflanzen keinen Schädlingen ausgesetzt.

Wie kann man sich so ein Vertical-Farming-Gebäude vorstellen?

Das ist ein Produktionsgebäude mit mindestens 2 000 m² Fläche. In der Growchamber, der Anzuchtkammer, werden in einer Art Regalsystem auf bis zu 15 Etagen verschiedene Pflanzen angebaut. Derzeit bauen wir vor allem Kräuter und Salate an. Sie wachsen nicht in der Erde, sondern im Wasser. In Zukunft könnten wir auch Beeren, Tomaten oder Pflanzen für kosmetische Zwecke anbauen. Vieles ist möglich, die Frage ist aber immer, ob es ökonomisch Sinn macht. Wir sehen Vertical Farming als Ergänzung zur Landwirtschaft, nicht als Ersatz. Aber es wird durch die Möglichkeit, Gemüse vermehrt lokal anzubauen, an Bedeutung gewinnen, da die globalen Lieferketten, wir haben es während der Corona-Pandemie gemerkt, anfällig sind. Außerdem werden sich die Anbaubedingungen auf dem Feld durch den Klimawandel verändern. Wir fokussieren uns vor allem auf Import-Produkte, die in der Schweiz nicht angebaut werden können. Basilikum beispielsweise wird im Winter immer eingeflogen.

Wie sehr sind die Prozesse automatisiert oder anders: Wie viele Menschen arbeiten noch beim vertikalen Gemüseanbau?

Den Farmer gibt es noch, aber er hat andere Aufgaben. Mit einem Tablet oder Smartphone kann er beispielsweise die Pflanzen für die verschiedenen Tische der Growchamber anfordern. Sie kommen dann, wie in einem Hochregallager, automatisch zu ihm und seinen Mitarbeitern. Die Ernte ist bei Kräutern noch manuell, bei Salat ist sie bereits automatisiert. Anschließend werden die Produkte auch bei Yasai verpackt. Wir machen alles, von der Saat bis zur Verpackung.

Sie haben Architektur an der ETH in Zürich studiert. Wie kamen Sie zum Vertical Farming?

Landwirtschaft und Architektur oder Raumplanung wird oft nicht miteinander in Verbindung gebracht, das stimmt. Im Studium bin ich aber auf das Buch „The Vertical Farm – Feeding the World in the 21st Century“ von Dickson Despommier gestoßen, ein Professor Emeritus der Columbia Univerity in New York. Das hat mein Interesse geweckt und ich habe mich mehr mit dem Thema beschäftigt. Aus einer raumplanerischen Perspektive fällt auf, dass wir Menschen etwa 40 % der eisfreien Landfläche nutzen, um unsere Ernährung sicherzustellen. Im Vergleich dazu: Zum Wohnen nutzen wir nur rund 3 % der eisfreien Landfläche. Wir haben also eigentlich kein Dichteproblem, wir nutzen nur die kultivierte Fläche nicht besonders effizient. 

Und das wollen Sie mit Vertical Farming ändern.

Genau. Mit unseren Vertical Farms können wir pro Quadratmeter bis zu 200-mal mehr produzieren als auf dem Feld, weil wir die Anbauflächen übereinanderstapeln. So wird die landwirtschaftliche Fläche verdichtet. Außerdem kommt sie auch näher zum Konsumenten, sodass wir Transportwege und -verluste reduzieren. 

Ist Vertical Farming denn immer auch Urban Farming?

Eigentlich nicht. Es gibt bereits diverse Vertical Farms, die sich vor allem in Industriegebieten befinden und immer öfter auch direkt in Distributionszentren – die großen Supermärkte und Discounter wollen den Anbau direkt in ihre Lieferketten integrieren. Die andere Möglichkeit, Vertical Farms in die Städte zu integrieren, wird bisher noch nicht oft genutzt. Sie bietet aber großes Potenzial. Wir arbeiten zum Beispiel an einem Projekt, das wir bis 2026 umsetzen wollen: „Yasai Integrated Vertical Farming“. Die Idee ist, viele kleine Vertical Farms in den Stadtquartieren zu verteilen. Die Leute, die dort leben, können sich dann über eine App einen digitalen Garten anlegen und Pflanzen, die sie sonst im Supermarkt kaufen würden, digital anbauen. Wir übernehmen den wirklichen Anbau dann bedarfsgerecht in unseren Vertical Farms. 

Was ist der Vorteil davon?

Dadurch können wir den Transportweg zum Verbraucher reduzieren. Das passt auch zu unserer Zero Waste Policy, mit Zero Packaging, Zero Food Miles, Zero Fossil Fuel. Außerdem brauchen wir keinen Zwischenhändler, sodass wir eine höhere Marge für die Produktion ansetzen können. So können wir auch Produkte anbauen, die ansonsten zu güns-tig wären. 

Wie groß sollte so eine Farm idealerweise sein?

Sie sollten nicht zu klein sein, ansonsten wäre es nicht mehr Farming, sondern Gardening. Die Mindestgröße liegt bei etwa 2 000 m² Fläche und einer Mindesthöhe von 8 m. Im städtischen Kontext wird es wahrscheinlich verschiedene Varianten geben. Ich könnte mir vorstellen, dass es kleine Vertical Farms in den Quartieren gibt, wie eben beschrieben, und auch große Farms am Stadtrand. Das hängt davon ab, welche Flächen verfügbar sind. Nach meiner Einschätzung wird es in Europa eher kleinteilig integriert werden. 

Wie kann Vertical Farming die Stadt- und Raumentwicklung beeinflussen?

Wir verstehen uns als Infrastruktur der Smart Cities von morgen. Das schöne an unserem Konzept ist, dass wir nicht nur Pflanzen produzieren, sondern auch Abfallströme von Städten als Ressource nutzen können. Zum Beispiel testen wir derzeit, wie wir die Gärstoffe aus Biogasanlagen als Nährstoffe für unsere Pflanzen nutzen können. Außerdem lieben unsere Pflanzen CO2. Wir können das Gas als Ressource in die Growchamber einspeisen, sodass die Pflanzen schneller wachsen. Ein weiterer Mehrwert ist die Wärme. Wir produzieren mit den LEDs in unseren Farmen viel Wärme, die wir für andere Nutzungen verfügbar machen können. 

Ihr kooperiert also mit anderen städtischen Akteur:innen oder auch Stadtplaner:innen?

In Zürich sind wir gerade dabei, ein Netzwerk aufzubauen und mit verschiedenen Forschungspartnern zusammenzuarbeiten. Für das Projekt „Yasai Integrated Vertical Farming“ planen wir bereits, die Wärme aus unserer Produktion beispielsweise an die umgebenden Wohnungen abzugeben.